Warum sollten Sie die Trends und Prognosen für Bauzinsen verfolgen?
Das allgemeine Zinsniveau verändert sich täglich. Banken gewähren Baudarlehen zu den jeweils marktüblichen Zinssätzen. Der Zeitpunkt, den Sie für den Abschluss einer Baufinanzierung auswählen, entscheidet daher maßgeblich über die Kosten Ihres Immobilienkredites. Die Prognose der Bauzinsen ist für künftige Bauherren ebenso von Bedeutung wie für Käufer eigen- oder fremdgenutzter Immobilien.
Der Zinssatz für ein Baudarlehen ist nur ein Faktor von vielen beim Erwerb einer Immobilie. Ob eine Immobilie „günstig“ ist, hängt auch von der Angemessenheit des Kaufpreises ab – unter Berücksichtigung von Lage, Zustand und Ausstattung.
Immobilienbesitzer, deren Finanzierung sich in der Zinsbindung befindet, sichern sich das aktuelle Zinsniveau durch ein Forward-Darlehen für die Zukunft. Mieter können dem Trend zu ständig steigenden Mieten durch Erwerb von Wohneigentum entkommen. Zumal sich die Bauzinsen trotz des jüngsten Anstiegs des Zinsniveaus immer noch deutlich unterhalb des langjährigen Durchschnitts befinden.
Beispielrechnung:
Sie möchten monatlich 500 Euro als Kreditrate (Tilgung plus Zinsen) für ein Darlehen über 100.000 aufwenden. Bei einem Effektivzins von 3 % p. a. beträgt die Kreditlaufzeit 23 Jahre und ein Monat. Während diesem Zeitraum müssen Sie Zinsen von insgesamt 38.802,04 Euro entrichten.
Bei einem Effektivzins von 2 % p. a. beträgt die Kreditlaufzeit bereits nur 20 Jahre und drei Monate. Insgesamt entsteht eine deutlich geringere Zinsbelastung in Höhe von 21.740,57 Euro.
1. Über die Verlässlichkeit von Zinsprognosen
Prognosen der zukünftigen Entwicklung von Inflation und Konjunktur unterliegen allerdings vielen Unsicherheiten. Nicht nur Verbraucher, sondern auch "Experten" neigen dazu, Entwicklungen der Vergangenheit für die Zukunft fortzuschreiben. Unerwartete Ereignisse können zuvor schlüssig erscheinende Prognosen jederzeit hinfällig werden lassen.
Prognosen stets kritisch zur Kenntnis nehmen
Bauherren und Immobilienkäufer sollten jede Bauzinsen Prognose mit Vorsicht zur Kenntnis nehmen. Beobachten Sie die Zinsentwicklung genau und bilden Sie sich Ihre eigene Meinung.
Die folgenden Ausführungen sollen Ihnen dabei helfen, die aktuelle Zinssituation besser zu verstehen. Sie erfahren, welche Faktoren die Bauzinsen Prognose 2024 beeinflussen können.
Aktueller Hinweis: Vorsicht in der „Zeitenwende“ ist die „Mutter jeder Baufinanzierung“
Als Immobilien-Interessent beziehen Sie folgenden Grundsatz bei ihren Planungen ein:
Je unübersichtlicher die aktuelle Situation erscheint, desto umsichtiger sollten größere Investitionen durchdacht werden. Das gilt vor allem bei Abschluss von Verträgen, durch die Sie langfristig gebunden werden.
Bei Vorliegen vieler unbekannter Faktoren ist jede Entscheidung zwangsläufig mit erhöhten Risiken verbunden. Die Folgen zeigen sich häufig erst im Nachhinein – vielleicht viele Jahre später.
Beispiel: Der Krieg in der Ukraine hat eine große Auswirkung auf die Weltwirtschaft und kann auch das Zinsniveau beeinflussen. Die Folgen lassen sich derzeit kaum abschätzen („Zeitenwende“).
2. Die aktuelle Zinssituation
Jahrelang beließen die Notenbanken ihre Leitzinsen auf einem extrem niedrigen Niveau. Als im Jahr 2021 die Inflation stark anstieg, gerieten die Europäische Zentralbank und die US-Notenbank Federal Reserve unter Zugzwang, die überfällige Zinswende endlich einzuleiten.
Die Bauzinsen stehen im engen Zusammenhang mit dem allgemeinen Zinsniveau, speziell mit den Zinsen für festverzinsliche Wertpapiere. Dazu zählen Bundesanleihen und öffentliche Pfandbriefe.
2.1 Die Bedeutung der Umlaufrendite als Indikator für das Zinsniveau
Was ist eine Umlaufrendite?
Die von der Bundesbank berechnete Umlaufrendite ist die durchschnittliche Rendite von inländischen Anleihen der höchsten Bonitätsstufe. Diese Anleihen müssen mindestens vier Jahre laufen, bei einer Restlaufzeit von mindestens drei Jahren.
Falls nicht anders angegeben, bezieht sich die „Umlaufrendite“ auf die börsennotierten Bundesanleihen. Die Bundesbank ermittelt aber auch Umlaufrenditen nach Restlaufzeiten sowie nach öffentlichen Anleihen, Industrieanleihen und Bankanleihen. Die Umlaufrendite eignet sich somit als ein Indikator für das Zinsniveau am Kapitalmarkt.
Aktuelle Umlaufrendite
Die Umlaufrendite lag am 01. Oktober 2024 bei +2,04 Prozent. Ende Februar 2022, zum Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, befand sich die Umlaufrendite bei +0,03 Prozent. Zum Vergleich: Den bisher tiefsten Wert verzeichnete die Umlaufrendite mit -0,83 Prozent im März 2020.
2.2 Bundesanleihen: wieder positive Renditen
Investoren betrachten Bundesanleihen als „sicheren Hafen“ und nahmen in den letzten Jahren sogar negative Zinsen in Kauf. So fielen die Renditen zehnjähriger Anleihen zuerst im Oktober 2016 und dann wieder ab März 2019 unter die Null-Prozent-Marke. Nach einem kräftigen Zinsanstieg ab Ende des Jahres 2022 weisen Bundesanleihen wieder positive Renditen auf.
- Wer aktuell Bundesanleihen mit zweijähriger Restlaufzeit erwirbt, erhält 2.05 Prozent Zinsen, bei fünfjähriger Restlaufzeit allerdings nur 1.94 Prozent pro Jahr.
- Zehnjährige Bundesanleihen rentieren wieder mit 2.22 Prozent.
- Die am längsten laufende Bundesanleihe mit einer verbleibenden Laufzeit von etwa 30 Jahren verzeichnet eine Rendite von 2.49 Prozent.
Datenstand: 04.10.2024
Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen ist besonders aussagekräftig, da sie einen hohen Anteil am Gesamtbestand der Bundesanleihen ausmachen.
Von Ende-Mai 2024 umlaufenden Bundesanleihen entfielen:
- 51,3 Prozent auf zehnjährige und
- 33,8 Prozent auf dreißigjährige Bundesanleihen.
Hintergrund: die Entwicklung der Bundesschulden
Pandemiebedingt erhöhte Staatsausgaben führten bis Ende 2021 zu einem deutlichen Anstieg der Verschuldung des Bundes (einschließlich Sondervermögen und KfW) auf 1.438,4 Milliarden Euro (Schuldenstand Ende 2019: 1.078,3 Milliarden Euro). Bis Dezember 2023 erhöhten sich die Schulden des Bundes auf 1.639,7 Milliarden Euro. Der Schuldenstand stieg in den Folgemonaten nur noch leicht an (Mai 2024: 1.641,7 Milliarden Euro).
Ursachen der vergleichsweise niedrigen Zinsen für Bundesanleihen
Unabhängig von kurzfristigen Entwicklungen stoßen Bundesanleihen bei Anlegern aus verschiedenen Gründen auf ein hohes Interesse. Begünstigt wird das vergleichsweise niedrige Zinsniveau von Bundesanleihen von der guten Bonität der Bundesrepublik Deutschland. Dies führt international zu einer hohen Nachfrage nach deutschen Bundesanleihen.
Zudem sind Staatsanleihen, die von für den Kapitalmarkt bedeutenden Staaten emittiert werden, leicht handelbar: In Zeiten ökonomischer und geopolitischer Krisen bieten marktbreite Staatsanleihen den Vorteil einer schnellen Veräußerbarkeit. Investoren können rasch reagieren und sich damit jederzeit Liquidität verschaffen.
2.3 Anleihenrenditen und Inflation
Bundesanleihen werden auch in Zukunft relativ niedrige Zinsen aufweisen. Deren Höhe sich - je nach Anleihenlaufzeit – bald nahe der Inflationsrate bewegen dürften.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Anleger selbst geringe Habenzinsen versteuern müssen. Zudem schmälern Ankauf- und Verkaufsprovisionen die Rendite.
In unserem Artikel über die Bauzinsen Entwicklung können Sie mehr über Zinsen und die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank erfahren.
3. Was beeinflusst die Bauzinsen Prognose 2025?
3.1 Allgemeine Wirtschaftsentwicklung und Zinsniveau
Eine schwache Konjunktur deckt sich gewöhnlich mit einem niedrigen Zinsniveau. Dagegen führt eine stärkere Konjunktur üblicherweise zu einem höheren Zinsniveau.
Eine niedrige Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen sorgt tendenziell für eine schwächere Kreditnachfrage und damit für niedrigere Zinsen. Außerdem ist bei einer niedrigen Güternachfrage eine schwächere Inflation zu erwarten.
Fallende Inflationsraten gehen meist mit steigenden Anleihekursen (und damit fallenden Zinsen am Geld- und Kapitalmarkt) einher.
Grundsatz: je stärker die Konjunktur, desto höher die Zinsen.
Rezessionssignal: „Inverse Zinsstruktur“
Normalerweise liegen die Langfrist-Zinsen oberhalb der kurzfristigen Zinsen. Anleger werden üblicherweise mit höheren Zinsen „belohnt“, wenn sie ihr Kapital längerfristig zur Verfügung stellen.
Derzeit allerdings ist es umgekehrt: Bundesanleihen mit kürzeren Laufzeiten weisen teilweise eine höhere Rendite auf als Anleihen mit zehnjährigen Laufzeiten. In diesem Fall spricht man von „inverser Zinsstruktur“.
Eine inverse Zinsstruktur spiegelt die Erwartung der Marktteilnehmer wider, dass die Zinsen fallen könnten. Dem liegt die Einschätzung zugrunde, dass die künftige Wirtschaftsentwicklung abwärts gerichtet sein wird.
Bewahrheitet sich die Einschätzung, dass sich die Wirtschaft auf eine Rezession zubewegt, dann könnten die Zinsen wieder fallen.
Aktuelle Prognosen zur Wirtschaftsentwicklung
Die EU-Kommission geht davon aus, dass sich die Wirtschaft im Euroraum in der zweiten Jahreshälfte 2024 etwas beleben wird. Nach der knapp entgangenen Rezession 2023, erwartet die EU-Kommission für 2024 nun ein Wachstum von 0,8 Prozent.
In 2025 soll sich das Wachstum auf 1,7 Prozent in der gesamten EU beziehungsweise auf 1,5 Prozent im Euroraum beschleunigen.
Als Risiken für die Konjunktur benennt die EU-Kommission die andauernden geopolitischen Risiken sowie den Nahost-Konflikt, der die Handelsroute durch das Rote Meer beeinträchtigt.
Zur Wirtschaftsentwicklung in Deutschland sind folgende Prognosen für die Jahre 2024 und 2025 hervorzuheben:
- Bundesregierung (April 2024): +0,3 % (2024), +1,0 % (2025)
- EU-Kommission (Mai 2024): +0,1 % (2024), +1,0 % (2025)
- Internationaler Währungsfonds (April 2024): +0,2 % (2024), +1,63 % (2025)
- OECD (Paris, Mai 2024): +0,2 % (2024), +1,1 % (2025)
- Bundesbank (Dezember 2023): +0,4 % (2024), +1,2 % (2025)
- Gemeinschaftsprognose der führenden Wirtschaftsforschungsinstitute (September 2024): -0,1 % (2024), +0,8 % (2025), +1,3 (2026).
Fazit aus wirtschaftlicher Sicht
Nach einer verhaltenen bis schwachen Wirtschaftsentwicklung in Deutschland und Europa in 2024 erwarten die meisten Ökonomen für 2025 ein etwas stärkeres Wirtschaftswachstum. Das bedeutet aber auch, dass in 2025 aus konjunktureller Sicht ein geringerer Bedarf für Zinssenkungen besteht als noch in 2024.
Die EZB dürfte sich bei ihrer Zinspolitik daher vornehmlich an der Entwicklung der Inflation orientieren. Die EU-Kommission geht davon aus, dass die Geldentwertung in 2025 auf 2,5 Prozent zurückgeht – nach 3,0 Prozent in 2024 und 6,3 Prozent in 2023.
Seitens der höher verschuldeten Staaten, vor allem Südeuropas, dürfe der Druck auf die EZB andauern, die Zinsen möglichst frühzeitig wieder zu senken.
3.2 Die Geld- und Zinspolitik der Europäischen Zentralbank
Von zentraler Bedeutung für die Bauzinsen ist die Geld- und Zinspolitik der Zentralbanken. Für den Euroraum ist die Europäische Zentralbank zuständig.
Die Geldpolitik der EZB
Das Hauptziel der EZB ist die Erhaltung der Geldwertstabilität. Dabei geht es ihr vorrangig um die Erhaltung der Kaufkraft des Euro durch Sicherstellung einer geringen Inflation.
Die Notenbank will aber auch eine Deflation, also zurückgehende Preise, unbedingt vermeiden. Denn verfestigt sich eine Deflation, dann erwarten Verbraucher und Unternehmen auch für die Zukunft rückläufige Preise. Sie halten sich dann mit Käufen und Investitionen zurück, weil sie auf niedrigere Preise spekulieren. Permanente Kaufzurückhaltung kann für die Wirtschaft in eine gefährliche Abwärtsspirale münden, die nur schwer wieder zu durchbrechen ist.
Deshalb verfolgt die EZB das Ziel einer Inflationsrate von 2 Prozent, um einen ausreichenden Abstand zu einem für die Volkswirtschaft gefährlichen Deflations-Szenario sicherzustellen.
Generell berücksichtigt die Notenbank bei ihren Entscheidungen seit einigen Jahren verstärkt auch die Wirtschaftsentwicklung in der Eurozone.
Bis 2021: extreme Niedrigzinspolitik der Notenbanken
Die Notenbanken begannen im Jahr 2008 weltweit mit einer extremen Niedrigzinspolitik, um die Konjunktur zu fördern. Die Leitzinsen fielen bis auf 0,00 Prozent. Banken mussten zeitweise sogar bis zu 0,5 Prozent Negativzinsen für bei der EZB hinterlegte Guthaben entrichten.
Was bezweckte die Europäische Zentralbank mit ihrer Politik der niedrigen Zinsen?
Die Politik des „billigen Geldes“ sollte die Nachfrage von Konsumenten und Firmen nach Produkten und Diensten verstärken. Dies sollte die Konjunktur ankurbeln und so ein Abgleiten in eine für die Entwicklung der Volkswirtschaft gefährliche Deflation vermeiden.
Wichtiger Wegweiser der Notenbank: die Entwicklung der Verbraucherpreise
Bei zu starker Inflation erhöhen die Notenbanken üblicherweise die Leitzinsen, um Kredite zu verteuern. Das dämpft die Konjunktur und wirkt so der Geldentwertung entgegenzuwirken.
Bis 2021 bewegten sich die Inflationsraten in Deutschland und in der Eurozone auf einem niedrigen Niveau. Im Jahr 2020 ging die Inflation in der Eurozone sogar auf nur noch 0,3 Prozent zurück.
Bereits im Jahresverlauf 2021 stieg die Geldentwertung aber deutlich an. Als Gründe wurden die in Deutschland ausgelaufene Mehrwertsteuer-Senkung, pandemiebedingter Nachfrage-Nachholbedarf, Probleme bei Lieferketten und massiv erhöhte Energiepreise genannt.
Nach einem monatelangen steilen Anstieg erreichte die Inflation im Oktober 2022 im Euroraum mit 10,6 Prozent beziehungsweise 11,6 Prozent in Deutschland den bisherigen Höchstwert (HVPI-Index). Damit erklomm die Geldentwertung in Deutschland die höchsten Werte seit der Einführung der Deutschen Mark im Jahr 1948. Ursachen für die extreme Inflation waren, so das Statistische Bundesamt, der starke Preisanstieg für Energie und die Folgen des Ukraine-Kriegs. In der Folgezeit ging die Inflationsrate schrittweise wieder deutlich zurück.
Die Entwicklung der Inflation von 2015 bis 2024
In den Jahren vor 2021 unterschritt die Inflation regelmäßig das 2-Prozent-Ziel der Europäischen Zentralbank.
- 2015: HVPI Eurozone: 0,2 % (HVPI Deutschland: 0,7 %)
- 2016: 0,2 % (0,4 %)
- 2017: 1,5 % (1,7 %)
- 2018: 1,8 % (1,9 %)
- 2019: 1,2 % (1,4 %)
- 2020: 0,3 % (0,4 %)
- 2021: 2,6 % (3,2 %)
- 2022: 8,4 % (8,7 %)
- 2023: 5,4 % (6,1 %)
- Januar 2024: 2,8 % (3,1 %)
- Februar 2024: 2,6 % (2,7 %)
- März 2024: 2,4 % (2,3 %)
- April 2024: 2,4 % (2,4 %)
- Mai 2024: 2,6 % (2,8 %)
- Juni 2024: 2,5 % (2,5 %)
- Juli 2024: 2,6 % (2,6 %)
- August 2024: 2,2 % (2,0 %)
- August 2024: 1,8 % (1,8 %)
Quelle: Eurostat HVPI-Index
Die Kerninflation (ohne Nahrungsmittel und Energie) lag Stand September 2024 in Deutschland bei 3,0 % und im Euroraum bei 2,7 %. Kaum verändert gegenüber den Vormonaten Juli und August 2024 und damit immer noch deutlich über dem Inflationsziel der EZB von 2,0 %.
Die Antworten der EZB auf die hohe Inflation
Etliche Jahre hatte die EZB die Zinsen niedrig gehalten, um den hoch verschuldeten EU-Staaten die Finanzierung ihrer Schulden zu ermöglichen.
Die EZB war – zumindest offiziell - lange Zeit davon ausgegangen, dass die Inflation auf einem moderaten Niveau bleiben und Anstiege nur von kurzfristiger Natur sein würden. Erst als die Geldentwertung ab Ende 2021 immer schneller an Fahrt gewann, sah sich die EZB zu einer Änderung ihrer Zinspolitik gezwungen.
Juli 2022: die „Zinswende“ der EZB
Am 27. Juli 2022 leitete die Europäische Zentralbank nach elf Jahren Niedrigzinspolitik die längst überfällige Zinswende ein. Sie erhöhte damals ihre Leitzinsen erstmals wieder um 0,5 Prozent. Damit stieg der Hauptrefinanzierungszinssatz, der wichtigste Zinssatz der EZB, von 0,0 Prozent auf 0,5 Prozent an. Zwischen September 2022 und September 2023 folgten dann neun weitere Leitzinserhöhungen.
Juni 2024: erste Zinssenkung der Europäischen Zentralbank
Nach einem deutlichen Rückgang der Inflationsrate schwenkte die EZB wieder auf einen vorsichtigen Zinssenkungskurs um: Am 6. Juni 2024 beschloss die EZB die erste Zinssenkung seit März 2016: Mit Wirkung zum 12. Juni 2024 sanken die drei EZB-Leitzinssätze um jeweils 25 Basispunkte (0,25 %).
Viele Beobachter hielten diesen Zinssenkungsschritt - angesichts einer noch über dem Inflationsziel der EZB liegenden Geldentwertung - für verfrüht. Durch unvorsichtige Äußerungen im Vorfeld legte sich die EZB öffentlich fest und war zu einer Zinssenkung gezwungen, um ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren.
Ohne die vorherige «ungeschickte» Informationspolitik der Zentralbank wäre vermutlich im Juni 2024 noch keine Zinssenkung erfolgt. Einige EZB-Repräsentanten (insbesondere aus hoch verschuldeten Staaten) waren aber wohl an einer gezielten öffentlichen Vorfestlegung interessiert.
Am 12. September 2024 wurden weitere Zinssenkungen vereinbart. Der Hauptrefinanzierungssatz sowie der Spitzenrefinanzierungsatz sanken zum 18. September um jeweils 0,6 Prozent und der Einlagenzins um 0,25 Prozent.
Die aktuellen EZB-Leitzinsen (seit dem 18. September 2024):
- Die Hauptrefinanzierungsfazilität, zu der die Banken kurzfristige Kredite von der EZB erhalten, liegt bei 3,65 Prozent p. a.
- Für unbesicherte Ein-Tages-Kredite zahlen die Banken 3,90 % Zinsen (Spitzenrefinanzierungsfazilität).
- Für Guthaben bei der Notenbank (Einlagefazilität), erhalten Banken aktuell 3,50 Prozent.
Die nächste geld- und zinspolitische EZB-Sitzung findet am 17.10.2024 statt.
Leitzinsen Prognosen für 2024 und 2025
Die Leitzinsen der Notenbanken haben wohl – zumindest vorläufig - ihren Höhepunkt erreicht oder sogar schon überschritten. Abzuwarten bleibt allerdings die Inflationsentwicklung in den kommenden Monaten.
Anlässlich der Juli-Sitzung des EZB-Rats vermied EZB-Präsidentin Lagarde jedoch jedes Signal für oder gegen eine Zinssenkung im September 2024. Man bleibe, so Lagarde, «so lange wie nötig» bei der jetzigen Zinspolitik. Der EZB-Rat wolle «datenabhängig von Sitzung zu Sitzung entscheiden und sich nicht vorab auf einen Zinspfad festlegen.»
Trotz der teilweise vorhandenen Markterwartung einer Zinssenkung im September 2024: Eine Gewissheit für Zinssenkungen zu einem bestimmten Zeitpunkt gibt es momentan nicht. Das Gleiche gilt für Zinssteigerungen bei vielliecht wieder anziehender Inflation.
Bedenklich stimmen die aktuell hohen Teuerungsraten für Dienstleistungen, die auf hohen Tarifabschlüssen basieren. Die Verteilungskämpfe an der Gehaltsfront trotz schwachen Wirtschaftswachstums, könnten zu einer dauerhaft erhöhten Inflation entscheidend beitragen.
Für verzögert sinkende Zinsen spricht die Einschätzung des Internationalen Währungsfonds, der Risiken für eine wieder anziehende Inflation sieht. Verschiedene Institutionen wie die Bundesbank sehen in der Zähigkeit des aktuellen Inflationsrückgangs ein Zeichen für eine hartnäckige, auf relativ hohem Niveau verbleibende Basisinflation. Diese lässt sich nur schwer bekämpfen.
Bei weiterhin hoher Geldentwertung oder einem drohenden Inflationsanstieg könnte die EZB weitere Zinssenkungen wohl kaum begründen.
Fazit aus geld- und zinspolitischer Sicht
Trotz eines Rückgangs der Geldentwertung liegt die aktuelle Inflation immer noch deutlich oberhalb des 2-Prozent-Zielwerts der EZB.
Mit rund 3,0 % befindet sich die Kerninflation (ohne Energie- und Lebensmittelpreise) im September 2024 weiterhin auf einem bedenklich hohen Niveau: hohe Tarifabschlüsse machten sich im Jahresvergleich mit einem Anstieg der Preise für Dienstleistungen von über 5 % bemerkbar.
Die gefährliche Lohn-Preis-Spirale erfordert nach den Grundsätzen der EZB eine eher straffe Geld- und Zinspolitik – einschließlich relativ hoher Leitzinsen. Wichtige Institutionen wie der IWF und die Bundesbank warnen bereits vor wieder zunehmenden Inflationsrisiken.
3.3 Die Geldpolitik der US-Notenbank Federal Reserve
Die US-Notenbank folgt (ebenso wie die EZB) dem 2-Prozent-Inflationsziel. Dabei achtet sie insbesondere auf eine von der Entwicklung bei Energiepreisen und Nahrungsmitteln bereinigte Inflationsrate („Kerninflation“). Das Zinsniveau im US-Dollar-Raum beeinflusst die Zinsen weltweit.
Niedrigzinspolitik in den USA bis März 2020
Die US-Notenbank hatte nach mehrjähriger Null-Zins-Politik ab 2015 Erhöhungen ihrer Leitzinsen beschlossen. Im Juli 2019 kehrte die Fed jedoch vorübergehend zu ihrer Niedrigzinspolitik zurück. Zuerst aus konjunkturellen Gründen und auf Druck des früheren Präsidenten Trump, später wegen der Folgen der Corona-Pandemie. Im Kontext der Corona-Pandemie fiel die Inflationsrate im März 2020 bis auf 1,5 Prozent.
Ab 2021 hohe Inflation in den USA: Anlass für kräftige Zinserhöhungen
Allerdings führten anschließend die rasche Erholung der US-Wirtschaft, umfangreiche Konjunkturpakete und Lieferkettenprobleme zu einem erheblichen Anstieg der Geldentwertung. Noch bis Ende 2021 erklärte die US-Zentralbank jedoch den Anstieg der US-Inflation zu einem „vorübergehenden“ Phänomen. Erst ab März 2022 veranlasste die weiterhin zunehmende Geldentwertung die Federal Reserve zu mehreren Zinserhöhungen.
Im Verlauf des Jahres 2021 zog die US-Inflation von 1,4 Prozent (Januar 2021) auf 7,0 Prozent (Dezember 2021) an. Auch 2022 stieg die US-Inflation und kletterte im Juni 2022 mit 9,1 Prozent auf ihren bisherigen Höchstwert. Seither geht die Inflation – wenn auch unter Schwankungen – allmählich zurück.
Inflationsentwicklung in den USA
- März 2022: 8,5 Prozent
- April 2022: 8,3 Prozent
- Mai 2022: 8,6 % Prozent
- Juni 2022: 9,1 % Prozent
- Juli 2022: 8,5 % Prozent
- August 2022: 8,3 % Prozent
- September 2022: 8,2 % Prozent
- Oktober 2022: 7,7 % Prozent
- November 2022: 7,1 % Prozent
- Dezember 2022: 6,5 % Prozent
- Januar 2023: 6,4 % Prozent
- Februar 2023: 6,0 % Prozent
- März 2023: 5,6 % Prozent
- April 2023: 4,9 % Prozent
- Mai 2023: 4,0 % Prozent
- Juni 2023: 3,0 % Prozent
- Juli 2023: 3,2 % Prozent
- August 2023: 3,7 % Prozent
- September 2023: 3,7 % Prozent
- Oktober 2023: 3,2 % Prozent
- November 2023: 3,1 % Prozent
- Dezember 2023: 3,4 % Prozent
- Januar 2024: 3,1 % Prozent
- Februar 2024: 3,2 % Prozent
- März 2024: 3,5 % Prozent
- April 2024: 3,6 % Prozent
- Mai 2024: 3,3 % Prozent
- Juni 2024: 3,0 % Prozent
- Juli 2024: 2,9 % Prozent
- August 2024: 2,5 % Prozent
Hinter der zuletzt nur leicht rückläufigen US-Inflationsrate verbergen sich teilweise gegenläufige Entwicklungen. Preistreiber blieben im August 2024 die Dienstleistungen, die sich innerhalb des letzten Jahres um 4,9 % verteuerten sowie die um 5,2 % erhöhten Wohnkosten. Dagegen stiegen die Nahrungsmittelpreise «nur» um 2,1 %, während die Energiepreise sogar um 4,0 % fielen.
Die von der US-Zentralbank besonders genau beobachtete Kerninflationsrate lag im August 2024 bei noch deutlich zu hohen 3,2 %.
Aktuelle Prognosen zu einer möglichen US-Leitzinssenkung
Die Finanzmärkte spekulieren – wie allerdings bereits seit langem – über eine erste US-Zinssenkung – diesmal für September 2024. Die letzten US-Daten vom Arbeitsmarkt deuten nämlich darauf hin, dass sich die US-Wirtschaft abzukühlen beginnt. Zugleich nimmt der Preisdruck etwas ab, sodass der Spielraum für die US-Notenbank für eventuelle Zinssenkungen allmählich zunimmt.
Die «Zinsfantasie» hat manche Beobachter schon fest im Griff: Mancher erwartet für die USA noch innerhalb von 2024 «mehrere» Zinssenkungen.
Ende Juli 2024 wollte sich auch US-Notenbank-Präsident Jerome Powell nicht auf einen Zeitpunkt für eine erste Leitzinssenkung festlegen. Man werde nach Datenlage entscheiden – die Daten zum zweiten Quartal 2024 seien allerdings «gut» ausgefallen. Genau genommen handele es sich, so Powell, um «bescheidene weitere Fortschritte» bei den für eine Zinsentscheidung relevanten Daten.
Eine Senkung der US-Leitzinsen anlässlich der am 17. und 18. September 2024 stattfindenden Sitzung des Federal Open Market Committe (FOMC) scheint wahrscheinlich.
Update: Am 18. September beschloss die Fed eine Zinssenkung um jeweils 50 Basispunkte.
Die Entwicklung der US-Leitzinsen („Federal Funds Rate“)
Anhebungen der US-Leitzins-Bandbreite
- 16.12.2015 von 0,25 bis 0,50 Prozent
- 14.12.2016 von 0,50 bis 0,75 Prozent
- 15.03.2017 von 0,75 bis 1,00 Prozent
- 14.06.2017 von 1,00 bis 1,25 Prozent
- 13.12.2017 von 1,25 bis 1,50 Prozent
- 21.03.2018 von 1,50 bis 1,75 Prozent
- 13.06.2018 von 1,75 bis 2,00 Prozent
- 26.09.2018 von 2,00 bis 2,25 Prozent
- 19.12.2018 von 2,25 bis 2,50 Prozent
Senkungen der US-Leitzins-Bandbreite
- 31.07.2019 von 2,00 bis 2,25 Prozent
- 18.09.2019 von 1,75 bis 2,00 Prozent
- 30.10.2019 von 1,50 bis 1,75 Prozent
- 03.03.2020 von 1,00 bis 1,25 Prozent
- 15.03.2020 von 0,00 bis 0,25 Prozent
Anhebung der Leitzins-Bandbreite
- 17.03.2022 von 0,25 bis 0,50 Prozent
- 05.05.2022 von 0,75 bis 1,00 Prozent
- 16.06.2022 von 1,50 bis 1,75 Prozent
- 28.07.2022 von 2,25 bis 2,50 Prozent
- 22.09.2022 von 3,00 bis 3,25 Prozent
- 02.11.2022 von 3,75 bis 4,00 Prozent
- 14.12.2022 von 4,25 bis 4,50 Prozent
- 01.02.2023 von 4,50 bis 4,75 Prozent
- 22.03.2023 von 4,75 bis 5,00 Prozent
- 03.05.2023 von 5,00 bis 5,25 Prozent
- 26.07.2023 von 5,25 bis 5,50 Prozent
Senkungen der US-Leitzins-Bandbreite - von der US-Notenbank eingeleitete Zinswende:
- 18.09.20124 von 4,75 bis 5,00 Prozent
Fazit zur Zinsentwicklung in den USA
Die US-Inflation schwächt sich allmählich ab. Die Volkswirtschaft, besonders auch der US-Arbeitsmarkt beginnen sich abzukühlen.
Zwar hält sich US-Notenbank-Präsident Powell noch alle Optionen offen und legt sich in keiner Richtung fest: Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung und eine Abkühlung der US-Wirtschaft machen eine Zinssenkung sehr wahrscheinlich. Denkbar sind ein bis zwei Zinssenkungen bis zum Jahresende 2024.
Die US-Zinsentwicklung in 2025 hängt aber auch von zahlreichen nationalen und geopolitischen Faktoren ab. Daher können keine fundierten Prognosen abgegeben werden können. Zu den Faktoren gehört unter anderem der Ausgang der US-Präsidentschaftswahlen am 5. November 2024.
3.4 Weitere Faktoren mit erheblichem Einflusspotenzial auf das Zinsniveau
Zahlreiche Faktoren wirken sich auf das Zinsniveau aus. Von besonderer Bedeutung für die Weltwirtschaft und damit auch für die Zinsen am Kapitalmarkt sind derzeit:
- die US-Präsidentschaftswahlen 2024,
- die Wirtschaftsentwicklung in der Volksrepublik China,
- der fortgesetzte Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine,
- die kriegerische Auseinandersetzung in Israel und Palästina, die sich auf die gesamte Nahost-Region ausdehnen könnte,
- der Krieg im Jemen, der auf das Rote Meer ausstrahlt (12 Prozent des Welthandels werden in «normalen» Zeiten auf der Schifffahrtsroute durch das Rote Meer abgewickelt und
- eine mögliche militärische Auseinandersetzung um Taiwan. Die Anzeichen mehren sich, dass China einen Taiwan-Krieg systematisch vorbereitet.
3.4.1 Hohe Risiken in China: mögliche Auswirkungen auf die weltweiten Zinsen
China hat für die Weltwirtschaft und damit auch für das Zinsniveau an den Kapitalmärkten eine enorme Bedeutung. Umso bedenklicher erscheint es Ökonomen, dass die jährlichen Wachstumsraten in den letzten Jahren deutlich zurückgingen.
Wirtschaftswachstum in China
Für 2023 wurde ein Wirtschaftswachstum der Volksrepublik von 5,2 Prozent gemeldet (nach 3 Prozent in 2022). Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich China unverändert in einer „Wachstums- und Finanzkrise“ befindet – mit folgenden Einzeltendenzen:
- schwacher inländischer Konsum,
- die Alterung der Bevölkerung verstärkt die Konsumzurückhaltung,
- schwächelnde Nachfrage des Auslands nach Produkten aus China,
- die Kaufzurückhaltung bewirkt wiederum Deflationstendenzen,
- Krisen im Immobilien- und Finanzsektor,
- niedrige Produktivität der Wirtschaft,
- sehr hohe und weiter wachsende Verschuldung der chinesischen Kommunen befeuert Ängste um die Finanzstabilität Chinas. Ende 2023 erreichte die kommunale Verschuldung umgerechnet fast 12 Billionen Euro. Bereits 2002 entsprach die Kommunal-Verschuldung 76 Prozent des chinesischen Bruttoinlandsprodukts (zum Vergleich 2019: 62 Prozent des BIP)
Verschiedene Analysten, darunter der IWF prognostizieren für China ein in 2024 auf 4,6 Prozent zurückgehendes Wirtschaftswachstum. Bis 2028 wird die Wachstumsrate laut IWF-Schätzung das Wachstum auf 3,5 Prozent sinken.
Die Zinsentwicklung in der Volksrepublik China
Die chinesische Zentralbank senkte am 22. Juli 2024 ihre Zinssätze für Ein-Jahres-Kredite auf 3,35 Prozent und für Fünfjahres-Kredite auf 3,85 Prozent, die sie an Banken vergibt. Der genannte Fünfjahres-Zinssatz hat große Bedeutung für chinesische Immobilienkredite. Immobilien machen in China zwei Drittel des Vermögens der dortigen Privathaushalte aus.
Zwar handelt es sich jeweils nur um Zinsschritte von (in China üblichen) 0,1 Prozentpunkten. Doch bedeuten diese Zinssenkungen das Erreichen eines für China historisch niedrigen Zinsniveaus.
Von China ausgehende geopolitische Risiken
Zudem gehen von China geopolitische Risiken aus, die auch die Weltwirtschaft bedrohen können. Dazu gehören insbesondere
- die Taiwan-Krise, die jederzeit in eine militärische Auseinandersetzung umschlagen kann. China bereitet sich offenkundig auf einen Krieg mit Taiwan vor. Zu den Maßnahmen gehört nicht nur eine massive Aufrüstung, sondern auch die erhebliche Aufstockung der Goldbestände (wie sie auch seitens Russlands vor Beginn des Ukraine-Kriegs zu beobachten war).
- Zunehmende Spannungen im südchinesischen Meer, wo China Hoheitsansprüche gegen alle Nachbarstaaten mit zunehmender Gewalt und gegen das geltende Völkerrecht durchzusetzen versucht.
Undurchsichtige Informationspolitik Chinas behindert frühzeitige Problemerkennung
Über all dem schwebt die undurchsichtige Informationspolitik Chinas wie ein Damoklesschwert: aus China gemeldete Daten müssen stets mit Vorsicht zur Kenntnis genommen werden.
Eine solche Daten-Unsicherheit erschwert jedoch das rechtzeitige Ergreifen erforderlicher Maßnahmen. Wenn eine Notsituation der Weltöffentlichkeit nur mit Verzögerung bekannt wird, dann sind die verbleibenden Reaktionsmöglichkeiten häufig eingeschränkt.
Fazit zu China
Politik und Volkswirtschaft Chinas weisen strukturelle Schwächen auf. Es muss jederzeit mit unangenehmen Überraschungen gerechnet werden – mit Auswirkungen auch auf das weltweite Zinsniveau.
3.4.2 „Zeitenwende“: Wie könnte der russische Angriffskrieg das Zinsniveau beeinflussen?
Zwar kann niemand den Verlauf von Kriegen und die Folgen einer solchen Aggression im Einzelnen voraussehen. Es scheint aber sicher: Der Angriffskrieg Russlands wird voraussichtlich grundlegende Änderungen in der Weltordnung herbeiführen - nicht nur in militärischer, sondern auch in politischer und volkswirtschaftlicher Hinsicht.
Das Zinsniveau kann jederzeit als Teilaspekt der ökonomischen Folgen des russischen Angriffskriegs betroffen sein.
Mögliche belastende Auswirkungen des Krieges in der Ukraine:
- Rückgang der Weltkonjunktur,
- Unterbrechung internationaler Lieferketten,
- Energieknappheit für Haushalte und Unternehmen,
- Preissteigerungen aufgrund von Lieferengpässen und hohen Energiepreisen,
- erhöhte Anzahl von Insolvenzen,
- möglicher Anstieg der Arbeitslosenzahlen,
- weltweite Hungerkrisen,
- Migrationsbewegungen mitsamt Folgeproblemen,
- abrupte Zinssenkungen - mit der Gefahr einer ansteigenden Inflation, bei krisenbedingt expansiver Geldpolitik trotz Inflation: Entwertung von Währungen, Gefahren für die Altersversorgung, soziale Verwerfungen.
Verteidigungspolitische «Zeitenwende»: erhebliche Zusatzkosten könnten zu steigenden Zinsen führen
Von Russland gehen aber offenbar über die Ukraine weit hinausgehende Bedrohungen aus.
Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr warnte Mitte Juli 2024 davor, dass Russland bereits dabei sei, seine Armee Richtung Westen auszurichten. In voraussichtlich fünf bis acht Jahren werde Russland wohl zu einem Angriff auf NATO-Gebiet in der Lage sein. In spätestens fünf Jahren müsse der Westen daher abwehrbereit sein.
Nimmt man dieses wohl realistische Bedrohungsszenario ernst, so müssen die westlichen Staaten ihre Verteidigungsausgaben deutlich ausweiten. Dies gilt umso mehr, als völlig unsicher ist, ob die USA auf Dauer weiterhin die Hälfte der NATO-Ausgaben übernehmen werden.
Auf Deutschland (und auch auf ganz Europa) dürften daher im Rahmen der verteidigungspolitischen «Zeitenwende» ganz erhebliche Zusatzkosten zukommen. Deren Finanzierung könnte - bereits mittelfristig – zu steigenden Zinsen führen.
Fazit zu den Auswirkungen des russischen Krieges: die Zins-Zukunft ist derzeit ungewiss.
Ganz gleich, ob Russland mit seiner Invasion scheitert oder es der russischen Despotie gelingt, sich Vorteile aus dem Krieg zu verschaffen:
In beiden Szenarien drohen tiefgreifende Verwerfungen - mit gravierenden Folgen auch für die Weltwirtschaft und damit auch für das Zinsniveau. Eine auf längere Sicht erhöhte Inflation würde wohl ein dauerhaft hohes und eventuell noch deutlich höheres Zinsniveau bedeuten.
4. Immobilienmarkt und Bauzinsen: zwischen Immobilienpreisen und Zinsniveau
Auf dem Immobilienmarkt wurden in den letzten Jahren erhebliche Preissteigerungen beobachtet. Gründe dafür waren eine jahrelang überdurchschnittlich wachsende Wirtschaft bei zugleich niedrigen Bauzinsen.
2023 fielen die Preise für Wohnimmobilien in Deutschland laut einer Studie Instituts für Weltwirtschaft deutlich:
- Eigentumswohnungen -8,9 %,
- Einfamilienhäuser -11,3 Prozent,
- Mehrfamilienhäuser -20,1 Prozent.
Derzeit zeichnet sich eine Stabilisierung der Immobilienpreise ab. Allerdings ist eine regional differenzierte Preisentwicklung festzustellen.
4.1 Analysten mahnen zur Vorsicht am Immobilienmarkt
Die Bundesbank hatte über längere Zeit vor deutlichen Überbewertungen bei Wohnimmobilien gewarnt. Die Immobilienpreise liegen in Deutschland nach Auffassung der Währungshüter zwischen 15 und 40 Prozent über dem angemessenen Niveau.
Die Hauptursache für die rückläufigen Immobilienpreise liegt nach Feststellung des DIW an den hohen Bauzinsen. Zudem würden sich viele Kauf- und Bauinteressenten aufgrund der erhöhten Baufinanzierungskosten doch eher für eine Mietwohnung entscheiden.
4.2 Bremsen für den Immobilienmarkt: gestiegene Bauzinsen, hohe Immobilienpreise
Für das zweite Halbjahr 2024 erwarten Experten eine eher seitwärts gerichtete Entwicklung der Zinsen für Immobilienkredite.
Die Zinsentwicklung dürfte 2025 unter dem Einfluss verschiedenster, teilweise gegenläufiger Faktoren stehen. Die Zinsentwicklung dürfte 2025 unter dem Einfluss verschiedenster, teilweise gegenläufiger Faktoren stehen. Der Inflationsverlauf wird voraussichtlich der dominierende Faktor für die Entwicklung der Bauzinsen 2025 sein.
Wer eine Wunschimmobilie kaufen möchte, der sollte unbedingt auf einen angemessenen Kaufpreis und einen nicht zu geringen Eigenkapital-Anteil achten. Ein sorgfältiger Konditionsvergleich minimiert die Kosten einer Baufinanzierung.
5. Zusammenfassung möglicher Szenarien
Was könnte zu steigenden Bauzinsen führen?
- hohe Inflation: Notenbanken behalten hohe Leitzinsen bei
- aufgrund von Krisen: möglicherweise größere Banken-Zurückhaltung bei der Vergabe von Darlehen
- anziehende Weltkonjunktur, falls Krisen erfolgreich bewältigt werden
Was könnte für niedrige Bauzinsen sprechen?
- sinkende Zinsen nach erfolgreicher Bekämpfung der Inflation
- bei Eintreten eines einschneidenden Krisen-Szenarios: Senkung der Leitzinsen durch die Notenbanken zur notfallmäßigen Unterstützung der Wirtschaft
Wann sind sowohl sinkende als auch steigende Bauzinsen vorstellbar?
- Wiederaufleben der Staaten- und Banken-Schuldenkrise
- Überhitzung des deutschen Immobilienmarktes - nicht nur in den Ballungsgebieten
6. Fazit: Bauzinsen Prognose 2025
Die Wirtschaftslage bleibt weltweit wie auch speziell in Europa krisenanfällig. Nach einer weltweit schwachen Wirtschaftsentwicklung gehen viele Ökonomen derzeit von einem etwas stärkeren Wirtschaftswachstum in 2025 aus. Als Hauptrisiken für die Wirtschaftsentwicklung benennt der IWF unter anderem:
- den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und
- die Gefahr einer Schuldenkrise.
Analysten erwarten, dass die EZB ihre Zinsen im zweiten Halbjahr 2024 und 2025 stufenweise weiter senken wird. Jeweils unter der Voraussetzung einer sich abschwächenden Inflation.
6.1 Empfehlungen für Bauherren und Immobilienkäufer
Bauherren und Immobilienkäufer können ihre Immobilienfinanzierung weiterhin zu noch vergleichsweise günstigen Konditionen abschließen.
Wählen Sie möglichst eine hohe Tilgungsrate (zwei Prozent oder höher), um die Entschuldung zu beschleunigen.
Achten Sie beim Erwerb einer Immobilie aber vor allem auf einen angemessenen Kaufpreis.
6.2 Anschlussfinanzierung und Forward-Kredit
Bei der Anschlussfinanzierung sollten Sie weiterhin lange Laufzeiten bevorzugen.
Wenn Ihre Finanzierung in den nächsten 5 Jahren ausläuft, können Sie sich bereits heute die aktuellen Bauzinsen durch ein Forward-Darlehen sichern.
Über den Autor
Hartmut Zimmer
Hartmut Zimmer, Jurist und langjähriger Vertriebsdirektor einer deutschen Großbank, war u. a. zuständig für den Vertrieb von Baufinanzierungen und gewerblichen Krediten. Besonders intensiv befasste er sich mit den Risiken fehlerhaft konstruierter Baufinanzierungen anlässlich der Sanierung eines umfangreichen Kreditportfolios.
Hartmut Zimmer ist Autor zahlreicher Fachartikel zu Finanzprodukten und Wirtschaftsrecht.